SERIE: Die
Welt des Walter Moers
Madrid
für Deutsche, 22.05.09
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„Mein Name ist Hildegunst von Mythenmetz“, sagte ich.
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Wer
kennt ihn nicht? Und doch: wer kennt ihn? Walter Moers ist uns ein
Rätsel. Wir wissen wenig von ihm, die Einzelheiten seines Lebens hält
er fern von uns. Fotos oder öffentliche Auftritte: Fehlanzeige.
Interviews: selten. Ist Walter Moers Schriftsteller? Zeichner und
Illustrator? Oder einfach Übersetzer der zamonischen Schriften des
großen Dichters Hildegunst von Mythenmetz? Wenn wir das nur wüssten!
Ja, aber wenn wir das wüssten. Was würde es uns nützen? Eben.
Und
auch sonst scheint alles an ihm genial. Bekannt wurde Walter Moers
durch seine Comicfiguren „Kleines Arschloch“, „Der alte Sack“, „Adolf“
und „Der Fönig“. Recherchen ergeben, dass der erstgenannte Comic auch
auf Spanisch vorliegt, „El pequeño hijoputa“ (1990,
La Cúpula). Das Zeichnen erlernte der 1957 geborene Moers
autodidaktisch, neben einer kaufmännischen Lehre (abgebrochen) und
Gelegenheitsarbeiten – soviel ist über ihn bekannt. Seit 1984
veröffentlichte Moers seine Comics, zunächst in den Satirezeitschriften
„Kowalski“ und „Titanic“, später in eigenen Büchern.
1988
schuf Moers die Figur des Käpt'n Blaubär, die durch die „Sendung mit
der Maus“ große Berühmtheit erlangte. Im Jahr 2000 erschien der
Zeichentrickfilm „Käpt’n Blaubär“, 2006 wurde das Musical „Die 13½
Leben des Käpt’n Blaubär“ in Köln uraufgeführt. 2008 kam schließlich
das TV-Musical „Käpt’n Blaubär – Die 3 Bärchen und der blöde Wolf“
heraus (ARD/WDR), wofür Walter Moers soeben, am 15. Mai 2009, den
Bayerischen Fernsehpreis erhielt.
Mit der Figur des Käpt'n
Blaubär war schließlich der Grundstein gelegt für eine phantastische
Romanwelt. 1999 erschien der erste der sogenannten Zamonien-Romane,
„Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär“, „Las 13 vidas y media del capitán Osoazul“
(1999, Ediciones Maeva), ins Spanische übertragen von Miguel Sáenz. Der
1932 geborene Miguel Sáenz gehört zweifelsohne zu den bekanntesten
Übersetzern deutscher Literatur ins Spanische. Sáenz hat
Rechtswissenschaft und Germanistik studiert, war dann zunächst
Übersetzer bei den Vereinten Nationen, später Universitätsdozent am
Madrider Instituto Universitario de Lenguas Modernas y Traductores.
Seit 1992 arbeitet Sáenz freiberuflich. Und er hat sie alle übersetzt:
Bertolt Brecht, Günter Grass, Alfred Döblin und nahezu das Gesamtwerk
von Thomas Bernhard. Und Walter Moers.
Käpt'n Blaubär nun, der
im gleichnamigen Roman durch den fiktiven Kontinent Zamonien reist,
trifft auf seinem Weg zahlreiche andere „zamonische Daseinsformen“ an,
welche dem Leser höchst unterhaltsam im „Lexikon der
erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und
Umgebung“, verfasst von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller, erläutert werden.
Auf „Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär“ folgten die Zamonien-Romane
„Ensel und Krete“ (2000) und „Rumo & die Wunder im Dunkeln“ (2003 -
beide nicht übersetzt).
2004 erschien der bislang vielleicht schönste Zamonien-Roman, „Die Stadt der Träumenden Bücher“, „La Ciudad de los Libros Soñadores“
(2006, Miguel Sáenz, Maeva). Denn was gibt es schöneres, als ein Buch
über Bücher? Im zamonischen Ort Buchhaim, besser gesagt in dessen
Katakomben, leben die liebenswertesten, höflichsten Wesen des
zamonischen Kontinents: die Buchlinge (siehe Abbildung oben) – kleine,
allesfressende Zyklopen. Jeder Buchling vertritt dort unten einen
„unserer“ großen Schriftsteller und Dichter, dessen Werk er auswendig
gelernt hat (bzw. lernen musste), beispielsweise Dölerich Hirnfidler,
Gofid Letterkiel, Ojahnn Golgo van Fontheweg und die ohnvergleiche
Sanotthe von Rhüffel-Ostend (Auflösung unten, wer nicht über diesen
Anagrammen grübeln möchte).
Moers parodiert in seinem Roman
auf gewissenhafte und sympathische Weise den gesamten Literaturbetrieb
aus Schriftstellern, Agenten, Sammlern und Verlegern, mit Lesungen in
Kaffeehäusern und Parkanlagen, mit „fünftausend amtlich registrierten
Antiquariaten“ („Da: Die Ameisentrommel von Sansemina van
Geisterbahner, in der legendären Spiegelschriftausgabe! Der
gläserne Gast von Zodiak Glockenschrey! Hampo Henks experimenteller
Roman Der Hund, der nur im Gestern bellte – lauter Bücher, von
deren Lektüre ich träumte“) – eine Welt mit „ausgemergelten Dichtern“,
„lebenden Zeitungen“ und Deklamationsabenden („Ich bin nur eine
Berghutze, rief die Zanilla-Darstellerin gerade voller Dramatik, und
du, mein Geliebter, du bist ein Murch. Wir werden niemals zueinander
finden. Laß uns gemeinsam von der Dämonenklamm springen!") Auf so viel
Spaß am Fabulieren trifft man selten.
Und auf so viel Lust am
Gestalten. Walter Moers hat alle seine Zamonien-Romane selbst
illustriert und hat ihnen schöne Umschläge mitgegeben, so auch dem
bislang letzten Zamonien-Roman, „Der Schrecksenmeister“ (2007, noch
nicht übersetzt). Moers' großes zeichnerisches Vorbild heißt Gustave
Doré, dem er gleich ein ganzes Buch gewidmet hat („Wilde Reise durch
die Nacht“, 2001).
Walter Moers ist längst einer der
kommerziell erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren. Wer kennt ihn
nicht? Und doch: wer kennt ihn? Walter Moers bleibt uns ein Rätsel. Am
24. Mai hat er Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
Links:
www.mythenmetz.de
www.nachtschule.de
www.nachtschueler.de
www.kleines-arschloch
www.wdr.de/tv/blaubaer
Buchlinge:
Friedrich Hölderlin
Gottfried Keller
Johann Wolfgang von Goethe
Annette von Droste-Hülshoff
©2009
Tanja Nause